O. Blaschke u.a. (Hg.): Weltreligion im Umbruch

Cover
Titel
Weltreligion im Umbruch. Transnationale Perspektiven auf das Christentum in der Globalisierung


Herausgeber
Blaschke, Olaf; Solans, Francisco Javier Ramón
Reihe
Religion und Moderne
Erschienen
Frankfurt a.M. 2019: Campus Verlag
Anzahl Seiten
507 S.
von
Siegfried Weichlein, Europäische und Schweizerische Zeitgeschichte, Universität Fribourg

Mit der Karriere der Globalgeschichte in jüngster Zeit stand auch das Thema Religion auf der Agenda. Bemerkenswerterweise wurde es jedoch – bis auf Jürgen Osterhammel – in den bekannten Überblicksdarstellungen von Christopher Bayly und Emily Rosenberg äußerst knapp behandelt. Der vorliegende Band geht auf eine Tagung im Jahr 2016 im Rahmen des Exzellenzclusters «Religion und Politik» an der Universität Münster zurück. Die Herausgeber, der Münsteraner Historiker Olaf Blaschke und Francisco Javier Ramón Solans (Münster/Zaragoza) gehen mit der Literatur davon aus, dass Religionen erstens Akteure in der Globalgeschichte waren und dass sie zweitens ihrerseits von der Globalisierung grundlegend verändert wurden. Der Untersuchungszeitraum ist das lange 19. Jahrhundert, die Phase der sogenannten ersten Globalisierung. Die Autoren fragen nicht nach «großkategorialen Prozessen mit abstrakten Strukturen», sondern untersuchen zumeist katholische Akteure, die an bestimmten Orten zwischen den Philippinen und Brasilien, Nordeuropa und Afrika spezifische Verflechtungen eingehen und mit benennbaren Mitteln Netzwerke knüpfen (22). Gleichzeitig veränderten sich die Religionen grundstürzend unter dem Einfluss der Globalisierung. Sie bildeten neue Muster der Attraktivität aus, scheiterten aber auch vielmals in der nichtwestlichen Welt und grenzten sich gegen andere Weltreligionen ab, was einen Neokonfessionalismus auslöste (23).
Der Band gliedert sich in drei etwa gleich große Teile: globalhistorische Perspektiven auf das Christentum, katholische Akteure in der Globalgeschichte des 19. Jahrhunderts und katholische und protestantische Reaktionen auf die Globalisierung. Abgeschlossen wird jeder dieser Teile von einem Kommentar (Detlef Pollack, Thomas Großbölting, Volkhard Krech). Zu den genuin christlichen Themen, die die Globalgeschichte behandelt, zählen die Missionen (protestantische Missionen: Reinhard Wendt), die Debatte um Modernismus und Antimodernismus im Katholizismus um 1900 (David Rüschenschmidt) und Pilgern und Religionstourismus am Beispiel Palästinas (Hannah Müller-Sommerfeld). Abgerundet wird dieser erste Teil von zwei begrifflich-theoretischen Beiträgen von Thies Schulze und Peter Beyer. Dabei wird die notorische Unbestimmtheit des Globalisierungsbegriffes wieder deutlich, auf die die Herausgeber in der Einleitung bereits hingewiesen haben. Was genau war an den afrikanischen Missionen der Rheinischen Missionsgesellschaft global außer der Tatsache, dass sie große Entfernungen überwanden? Was genau war global am katholischen Antimodernismus? Detlef Pollack nimmt dies zum Anlass, in seinem Kommentar einen Rückgriff auf die viel gescholtene Modernisierungstheorie nahezulegen. Bereits Jürgen Osterhammel hatte auf die Systemtheorie Niklas Luhmanns als mögliche Such¬optik des Globalen hingewiesen: zumal der Kommunikationsbegriff eignet sich, um grenzüberschreitende Prozesse der Globalisierung zu beschreiben. Peter Beyer benutzt konsequent die Modernisierungstheorie zur Analyse des «Global Religious Systems» und arbeitet Prozesse der Ausweitung durch Differenzierung heraus.
Diese Fragestellung ist der Gegenstand des zweiten Teiles zur globalisierenden Wirkung christlicher Institutionen und Akteure. Im Mittelpunkt stehen hier wieder protestantische Missionen (Klaus Koschorke), deutsche und belgische Ultramontane (Bernhard Schneider, Jan de Maeyer) sowie die katholische Kirche in Lateinamerika und ihre Kulturkämpfe mit dem Staat. Silke Hensel zeigt auf, dass die Kulturkämpfe kein Alleinstellungsmerkmal Europas waren, sondern genauso heftig in Lateinamerika ausgefochten wurden. Thomas Großbölting erkennt in den verschiedenen Gegenständen und Perspektiven dieses Teiles ein mehrdimensionales Bild, «das von vielfältigen Verflechtungen und gegenseitigen Bezugnahmen, gegenseitigen Rückwirkungen des Globalen, Nationalen und Lokalen in die jeweiligen Lebenswelten, gelegentlich auch analogen Transformation im Startpunkt Westen und den vielfältigen Fluchtpunkten in aller Welt» geprägt ist (370).
Der dritte Teil gilt den Reaktionen christlicher Institutionen und Akteure auf die Globalisierung. Reaktionen, Grenzen und Abwehrreflexe zeigen sich in der protestantischen deutschen Auslandsgemeinde in Brasilien (Frederik Schulze), bei Johann Wichern und seinem Diakoniekonzept (Sven Henner Stieghorst) und dem Ultramontanismus in Asien (Adrian Hermann). Auch hier stellt sich die Frage, was daran Globalisierung war. Das Transnationale und das Globale, oft synonym gebraucht, kommen sich hier ins Gehege. Wenn deutsche Protestanten in Brasilien sich als Projekt des «Deutschtums» verstehen, dann ist das sicher ein transnationaler Zusammenhang. Global und imperial daran ist der religiöse Anspruch, kaum aber die Kommunikation heim ins Reich. Im gleichen Sinne ist das Titelbild der Missionskarte der Baseler Mission (vollständig auf den Seiten 44–45) nicht transnational, weil sie keine nationalstaatlichen Grenzen enthält, sondern ein Ausdruck religiöser Globalisierung, weil sie die weltweite Verteilung der Religionen aufzeigt. Dass der Zusammenhang von Religion, Globalisierung und Gender seine Fallstricke birgt, zeigt der Literaturüberblick von Yvonne Maria Werner und Katharina Kunter, die durch den Bezug aller drei Themen auf außerreligiöse Fragen in der Gefahr stehen, die Religion aus dem Blick zu verlieren. Wie ambivalent die Reaktionen auf die Globalisierung sein können, machen Globalisierungsängste deutlich, die selbst ein Teil der Globalisierung sind (Volkhard Krech, 486). Gemeinsam war allen diesen Gegenständen, dass mit der religiösen Globalisierung die Diversität des Religiösen zunahm. Unter Globalisierungsbedingungen wurden Religionen seit ca. 1990 zunehmend reflexiv, weshalb allerorten «Theologien der Religionen» entstanden. Kaum ein Detail zeigt sprechender den eingetretenen Wandel an. Dieser hervorragende Band ist allen zu empfehlen, die sich mit dem Thema «Religion und Globalisierung» beschäftigen.

Zitierweise:
Weichlein, Siegfried: Rezension zu: Blaschke, Olaf; Solans, Francisco Javier Ramón (Hg.): Weltreligion im Umbruch: transnationale Perspektiven auf das Christentum in der Globalisierung (Religion und Moderne), Frankfurt a.M., 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 115, 2021, S. 480-481. Online: <https://doi.org/10.24894/2673-3641.00100>

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